Der Notrufknopf im Gehirn

Männliche und weibliche Mäuse reagieren unterschiedlich auf Stress: Wissenschaftler fanden einen Rezeptor im Gehirn, der die Reaktion des Stoffwechsels auf Stress reguliert  

25. Mai 2016
Sind wir Stress ausgesetzt, nutzt unser Körper Stoffwechsel-Ressourcen für seine Notfallreaktion. Bisher dachte man, dass der Sympathikus derartige Stressreaktionen steuert. Jetzt aber haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München gezeigt, dass spezielle Neuronen im Gehirn eine überraschende Rolle dabei spielen. Die kürzlich in der Fachzeitschrift „Cell Metabolism“ veröffentlichten Ergebnisse dürften neue Ansätze für die Entwicklung besserer Medikamente zur Behandlung von Stress bedingten Erkrankungen wie Essstörungen liefern.

Alon Chen, Direktor des Department Stress Neurobiologie und Neurogenetik am Max-Planck-Institut für Psychiatrie, hat sich zusammen mit Yael Kuperman vom Max-Planck - Weizmann Labors für experimentelle Neuropsychiatrie und Verhaltens-Neurogenetik auf den Hypothalamus konzentriert. Diese Gehirnregion übernimmt eine Vielzahl von Funktionen, zum Beispiel hilft sie dem Körper, sich auf Stresssituationen einzustellen, Hunger und Sättigungsgefühl zu kontrollieren sowie den Blutzucker und den Energieumsatz zu regulieren – hier liegt sozusagen der Notrufknopf im Gehirn.

Tritt Stress auf, kommt es an Zellen im Hypothalamus zu einer Aktivierung des Rezeptors CRFR1. Bisher glaubte man, dass dieser Rezeptor an der schnellen Aktivierung des sympathischen Nervensystems beteiligt ist, indem er zum Beispiel die Herzfrequenz erhöht. Da der Hypothalamus auch den Energiehaushalt reguliert, ging das Forscher-Team davon aus, dass der Rezeptor CRFR1 auch dabei eine Rolle spielt.

Chen und sein Team untersuchten Zellen in einer bestimmten Region des Hypothalamus. Dabei fanden Sie heraus, dass der Rezeptor CRFR1 in etwa der Hälfte der Zellen vorhanden ist. Diese Zellen regen den Appetit an und unterdrücken den Energieverbrauch. Die Zellen, die das Sättigungsgefühl und den Energieverbrauch fördern, haben hingegen keine CRFR1 -Rezeptoren. „Das war eine Überraschung“, sagt Chen, „denn wir hatten damit gerechnet, dass der Rezeptor in den Zellen auftaucht, die Hunger unterdrücken, nicht anregen“.

Um beobachten zu können,  wie das die Reaktionen in den Körpern von Mäusen beeinflusst, entfernten die Forscher den CRFR1-Rezeptor von den Zellen im Hypothalamus, die den Appetit anregen. Zunächst sahen sie im Ruhezustand keine signifikanten Veränderungen. Als sie die Mäuse jedoch Stress in Form von Kälte oder Hunger aussetzten, erlebten sie eine weitere Überraschung.

Wird der Körper Kälte ausgesetzt, so aktiviert das sympathische Nervensystem eine spezielle Art von Fettzellen, das sogenannte braune Fettgewebe. Dieses produziert Hitze, um die Körpertemperatur aufrecht zu erhalten. Entfernten die Forscher den Rezeptor aus dem Gehirn, so fiel die Körpertemperatur dramatisch ab – jedoch nur bei den weiblichen Mäusen, und nur unter Stress. Selbst nach der stressvollen Erfahrung stabilisierte sich die Körpertemperatur nicht, ganz im Gegensatz zu den männlichen Mäusen, bei denen es fast keine Schwankungen gab.

Ließen die Forscher die Mäuse fasten, so erfolgte eine ähnlich drastische Reaktion bei den weiblichen Tieren. Wenn Nahrung knapp ist, sendet das Gehirn normalerweise eine Information an die Leber, damit diese dafür sorgt, einen minimalen Blutzuckerspiegel aufrecht zu erhalten. Wurde den weiblichen Mäusen ohne den CRFR1-Rezeptor aber Nahrung vorenthalten, sank deren in der Leber produzierter Blutzucker deutlich ab. Bei männlichen hungrigen Mäusen ohne CRFR1-Rezeptor war der Stoffwechsel, wie bei denen, die Kälte ausgesetzt waren, kaum verändert.

“Wir haben herausgefunden, dass der Rezeptor die Nervenzellen hemmt“, sagt Matthias Eder vom Max Planck Institut für Psychiatrie, der ebenfalls an der Studie mitgearbeitet hat. „Dieser Effekt ermöglicht die Aktivierung des sympathischen Nervensystems“, schließt er.

Die Ergebnisse zeigen, wie der Rezeptor CRFR1 arbeitet und welche Bedeutung er für die Stressreaktion des Körpers hat. Insbesondere wird klar, dass Frauen und Männer in ihren Stoffwechselvorgängen sehr unterschiedlich auf Stresssituationen reagieren. Die Erkenntnis, dass der Rezeptor Hunger unterdrückt, dürfte dabei helfen zu erklären, warum Frauen sehr viel häufiger an Essstörungen leiden als Männer.

Aus der Studie leiten sich unmittelbare Empfehlungen für die Entwicklung von Psychopharmaka ab. Verschiedene Unternehmen der pharmazeutischen Industrie haben bereits damit begonnen, Medikamente zur Behandlung von Angststörungen und Depressionen zu entwickeln, die den CRFR1 –Rezeptor blockieren.  Die Wissenschaftler warnen jedoch vor Nebenwirkungen wie Gewichtsverlust, da die Zellen, die den Rezeptor blockieren, an der Aufrechterhaltung des Energiehaushalts beteiligt sind.

Weizmann Institute/AS

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