Multiple Sklerose

Die häufigsten Fragen:

1. Was ist Multiple Sklerose?

Die Multiple Sklerose oder Encephalomyelitis disseminata (ED) ist eine chronisch- entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS). Kennzeichnend für die Erkrankung sind klar abgrenzbare Entzündungsherde, die an verschiedenen Stellen im Gehirn und Rückenmark auftreten. Abhängig vom Ort des Auftretens der Herde können verschiedenste Beschwerden, wie z. B. Lähmungen, Gefühls-, Seh-, Blasen- und Koordinationsstörungen, auftreten. Neben diesen in der neurologischen Untersuchung feststellbaren Symptomen sind auch Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie eine frühere Erschöpfbarkeit, das sogenannte „Fatigue Syndrom“, nachweisbar.
Charakteristischerweise treten die Beschwerden zu Beginn der Erkrankung in Schüben auf, die sich nach Tagen bzw. Wochen ganz oder teilweise zurückbilden. Sowohl die Art der Beschwerden als auch der Zeitpunkt eines Schubes lassen sich nicht voraussagen, sodass die Erkrankung durch einen sehr variablen Verlauf gekennzeichnet ist. Später im Krankheitsverlauf geht ca. die Hälfte der Patienten mit schubförmigem Verlauf in den sekundär chronisch progredienten Verlauf über, der durch eine kontinuierliche, langsam zunehmende Verschlechterung gekennzeichnet ist. Schübe können diesen Verlauf überlagern oder gänzlich ausbleiben. Ca. 10 – 15 % der Patienten haben keine Schübe und zeigen von Beginn an eine langsam zunehmende Verschlechterung der Erkrankung. Diese Patienten werden als primär chronisch progredient bezeichnet.

2. Multiple Sklerose: Eine häufige Erkrankung?

Die Multiple Sklerose ist die häufigste chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. In der Bundesrepublik Deutschland sind ca. 120.000 Menschen betroffen. Ca. 4-8 Menschen pro 100.0000 Einwohner erkranken in Nordeuropa und Nordamerika jährlich neu an Multipler Sklerose.
Es gibt jedoch große geographische Unterschiede. Die Multiple Sklerose ist eine Erkrankung der gemäßigten, kälteren Zonen. Am Äquator ist sie nahezu unbekannt.
Aufgrund ihres Auftretens, oft schon im jüngeren Erwachsenenalter, und ihres chronischen Verlaufes wirkt sich die Multiple Sklerose stark auf das soziale und wirtschaftliche Leben aus.

3. Ist die Multiple Sklerose heute häufiger als früher?

Legt man die Häufigkeit der Diagnosestellung zugrunde, kann man leicht den Eindruck gewinnen, dass die Anzahl der an MS erkrankten Patienten gestiegen ist. Man muss jedoch bedenken, dass sich die Methoden, eine MS zu erkennen, verbessert haben. Weiterhin spielt auch die höhere Lebenserwartung eine Rolle. Somit bleibt letztlich unklar, ob die Erkrankungshäufigkeit in den letzten Jahren wirklich zugenommen hat.

4. Erkranken Frauen häufiger an Multipler Sklerose?

Das Verhältnis von erkrankten Frauen zu Männern beträgt ca. 2-3 : 1. Dies gilt jedoch nur für die häufige schubförmig remittierende Verlaufsform. An der seltener auftretenden primär chronisch progredienten Verlaufsform erkranken Männer und Frauen etwa gleich häufig. Die Ursache für diese Unterschiede ist unbekannt.

5. Ursachen der Multiplen Sklerose

Trotz intensiver Forschungsanstrengungen ist die Ursache der Multiplen Sklerose weiterhin unbekannt. Man geht davon aus, dass Erbanlagen und Umweltfaktoren zusammenspielen. In großen Studien wurde festgestellt, dass eineiige Zwillinge, deren Erbgut gleich ist, zu ca. 30 % gemeinsam erkranken. Das Risiko, MS zu bekommen ist bei Kindern und Eltern von MS-Patienten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung etwa 10-20fach erhöht, d. h. es beträgt ca. 1-2 % gegenüber 0,1 % in der Allgemeinbevölkerung.
Aufgrund der bisherigen Erkenntnisse ist weitgehend gesichert, dass die Multiple Sklerose nicht auf eine einzelne Erbanlage zurückzuführen ist. Vielmehr scheinen mehrere Gene die Wahrscheinlichkeit zu beeinflussen, an Multipler Sklerose zu erkranken. Bisher konnten jedoch nur wenige Gene identifiziert werden. Hierzu gehören unter anderem Gene des Haupthistokompatibilitätskomplexes, der beispielweise bei der Transplantatabstoßung eine Rolle spielt. Weiterhin wurden kürzlich Gene in den Rezeptoren zweier Zytokine - im Interleukin-2 Rezeptor und im Interleukin-7 Rezeptor - identifiziert, die, wenn auch geringfügig, ebenfalls das Risiko erhöhen, an Multipler Sklerose zu erkranken. Letztlich wurden bisher vor allem Gene im Abwehrsystem des Körpers - dem Immunsystem - identifiziert, was die Hypothese unterstützt, dass die Multiple Sklerose eine autoimmunologisch bedingte Erkrankung ist, bei der sich das Abwehrsystem gegen die eigenen Nervenzellen richtet.
Es ist jedoch offensichtlich, dass es sich bei der Multiplen Sklerose nicht um eine Erbkrankheit handelt. Es besteht lediglich eine erbliche Veranlagung oder Neigung. Um an Multipler Sklerose zu erkranken, müssen weitere Faktoren hinzukommen. Hierbei könnte es sich um Umweltfaktoren handeln. Das legen Migrationsstudien nahe, bei denen festgestellt wurde, dass Personen, die nach dem 15. Lebensjahr aus Regionen mit hoher MS-Häufigkeit auswandern, das Risiko, an Multipler Sklerose zu erkranken, mitnehmen. Im Gegensatz dazu gleicht sich das Risiko für Personen, die vor dem 15. Lebensjahr auswandern, dem der Zielregion an. Es bleibt weiterhin unklar, ob die vermuteten Umweltfaktoren individuell den einzelnen Patienten beeinflussen - hier wären z. B. Infektionen, insbesondere viraler Art, zu nennen - oder ob die vermuteten Umweltfaktoren auf alle Menschen in einem bestimmten Gebiet einwirken, wie z. B. Klima oder Ernährung.

6. Wie wird die Erkrankung Multiple Sklerose diagnostiziert?

Für die Diagnose MS reichen weder klinische Charakteristika noch einzelne diagnostische Tests aus. Wenn die Anamnese und der klinisch-neurologische Untersuchungsbefund mit dem Vorliegen einer Multiplen Sklerose vereinbar sind, wird man meist eine Kernspintomographie des Gehirns und ggf. des Rückenmarks, die evozierten Potentiale und eine Liquoruntersuchung durchführen.
Die Kernspintomographie ermöglicht es, die entzündlichen Läsionen im Gehirn und Rückenmark nachzuweisen und kann zwischen akut entzündlichen Läsionen und Läsionen, bei denen die Entzündung bereits abgeflaut ist, unterscheiden. Hierzu wird während der Untersuchung ein gadoliniumhaltiges Kontrastmittel injiziert. Herde mit akuter Entzündungsaktivität reichern das Kontrastmittel an, während bereits abgeheilte Herde keine Kontrastmittelanreicherung aufweisen.
Mit Hilfe der evozierten Potentiale wird die Geschwindigkeit gemessen, mit der Reize aufgenommen und zu der jeweiligen reizverarbeitenden Region im Gehirn transportiert werden. Man unterscheidet im Wesentlichen visuell, akustisch und somatosensorisch evozierte Potentiale sowie die Magnetstimulation. Bei den visuell evozierten Potentialen blickt der Patient auf einen Bildschirm, auf dem sich ständig schwarze und weiße Quadrate abwechseln. Dieses Bild wird über den Sehnerv und weitere Nervenbahnen zur Sehrinde im Gehirn geleitet. Bei der Verarbeitung der ständig wechselnden Seheindrücke entsteht über der Sehrinde ein elektrisches Potential. Bei einer Entzündung der Sehnerven beispielsweise erfolgt die Übermittlung des Signals langsamer und mit geringerer Stärke, sodass mit dieser Methode eine Störung im visuellen System entdeckt werden kann.
Ähnliches gilt für die akustisch evozierten Potentiale, die mit verschiedenen Tönen ausgelöst werden und für die somatosensorisch evozierten Potentiale, die mittels elektrischer Impulse an Armen oder Beinen erzeugt werden.
Bei der Magnetstimulation dagegen wird ein elektrisches Feld über dem Gehirn erzeugt, das zu einer Muskelzuckung führt. Ist das motorische System, das für willkürliche Bewegungen zuständig ist, geschädigt, erfolgt die Leitung des Signals langsamer und die Muskelzuckung ist schwächer.
Als dritte wichtige Untersuchung ist die Liquoruntersuchung – „Nervenwasseruntersuchung“ zu nennen. Der Liquor umgibt Gehirn und Rückenmark, sodass Infektionen des zentralen Nervensystems sich dort oft mit einer höheren Sicherheit nachweisen lassen als im Blut. Bei der Multiplen Sklerose zeigen sich im Liquor häufig eine mäßige Vermehrung von Entzündungszellen sowie eine Produktion von Antikörpern. Letzteres sind spezielle Eiweiße, die der Körper normalerweise zur Abwehr von Infektionen bildet. Eine ständige Bildung von Antikörpern kann mit Hilfe der sogenannten oligoklonalen Banden nachgewiesen werden. Diese oligoklonalen Banden sind bei Patienten mit Multipler Sklerose in mehr als 95 % der Fälle nachweisbar.
Weiterhin wird eine Anzahl von Erkrankungen, die der Multiplen Sklerose ähnlich sind, mittels Blutuntersuchungen ausgeschlossen.

7. Wie verläuft die Multiple Sklerose?

Zu Beginn der Erkrankung lässt sich die Schwere des Krankheitsverlaufs nicht voraussagen – der Verlauf ist sehr variabel. Manche Patienten zeigen einen milden Verlauf mit wenigen Schüben, die sich gut zurückbilden. Andere Patienten erleiden schwere Schübe mit schlechter Rückbildung und Übergang in einen chronisch fortschreitenden Verlauf, der zu schwerer Behinderung führen kann. Der Tod an Multipler Sklerose ist jedoch sehr selten und tritt nur auf, wenn lebenswichtige Zentren im Gehirn, z. B. das Atmungszentrum im Hirnstamm, direkt von einem entzündlichen Herd betroffen sind. Allerdings kann beispielsweise durch das Auftreten von schweren Lähmungen die Bewegungsfähigkeit so stark eingeschränkt werden, dass Zweiterkrankungen wie Lungenentzündung oder tiefe Beinvenenthrombosen mit anschließender Lungenembolie auftreten, die einen lebensgefährlichen Verlauf nehmen können. Um abzuschätzen, ob ein milder oder ein schwerer Verlauf vorliegt, ist eine lange Beobachtungszeit von ca. fünf Jahren notwendig. Wenn induziert, sollte möglichst rasch mit einer immunmodulatorischen Therapie begonnen werden, da die bisherigen Ergebnisse darauf hinweisen, dass die Therapie besonders wirksam ist, wenn sie frühzeitig einsetzt.

8. Wie erfolgt die Behandlung der Multiplen Sklerose?

Die Multiple Sklerose an sich ist nicht heilbar, jedoch sind insbesondere in den letzten Jahren mehrere Medikamente entwickelt worden, die die Häufigkeit der Schübe reduzieren und das Fortschreiten der Behinderung (der Progredienz) verlangsamen können.
Bei der medikamentösen Behandlung der Multiplen Sklerose muss zwischen der Behandlung im akuten Schub und einer Behandlung im Intervall unterschieden werden.
Im akuten Schub hat sich die Gabe von Cortison in hoher Dosis bewährt. So werden beispielsweise 1000 mg Methylprednisolon pro Tag an 3 aufeinanderfolgenden Tagen infundiert. Hierdurch lässt sich häufig ein Rückgang der akut aufgetretenen Beschwerden erreichen. Sollte dies nicht der Fall sein, kann nach 2 Wochen eine erneute Cortisongabe in höherer Dosierung, z. B. 2000 mg Methylprednisolon i. v. pro Tag über 5 Tage, erfolgen. Führt dies auch nicht zu einer Besserung der Symptomatik, ist eine Plasmapherese („Blutwäsche“) zu erwägen.
Weitere Medikamente, die zur Stabilisierung des Krankheitsverlaufes, insbesondere zur Verhinderung von Schüben, eingesetzt werden, waren früher immunsuppressiv, d. h. sie haben die Reaktionsfähigkeit des körpereigenen Abwehrsystems vermindert. Als Nebenwirkung traten deshalb gehäuft Infektionen auf. Im letzten Jahrzehnt wurden immunmodulatorische Medikamente entwickelt, die zwar zu einer Senkung der Schubhäufigkeit und einer Abmilderung der Schübe, aber dabei zu einer geringeren oder gar keiner Infektionsanfälligkeit führen. Diese als "Basistherapeutika" bezeichneten Substanzen sind Interferon ß, Glatirameracetat sowie in besonderen Fällen Immunglobuline. Alle diese Substanzen können die Schubfrequenz um ca. 1/3 senken. Die verbleibenden Schübe verlaufen weniger schwer.
Wenn ein Patient auf die Therapie mit den genannten Substanzen nicht anspricht, erfolgt eine Therapieeskalation, z. B. mit Natalizumab oder Mitoxantron. Die genannten Medikamente und weitere, die sich zum Teil noch in der Entwicklung befinden, sind dazu da, die Schubfrequenz zu reduzieren und auch die Progredienz der Erkrankung zu verlangsamen. Aktuell befinden sich vor allem Medikamente in Entwicklung, die oral (als Tablette) angewendet werden können bzw. Antikörper, die nur spezielle Untergruppen der weißen Blutkörperchen erkennen und inaktivieren.
Eine weitere wichtige Säule der Therapie ist die Krankengymnastik. Mit ihrer Hilfe gelingt es, bestehende Beschwerden zu bessern. So können durch den Einsatz geeigneter krankengymnastischer Verfahren beispielsweise Lähmungen und erhöhte Muskelspannung, die sogenannte Spastik, häufig gut therapiert werden.
Weiterhin steht eine große Anzahl von Medikamenten zur Verfügung, die geeignet sind, zwar nicht die Erkrankung an sich, jedoch deren Symptome, zu behandeln – wie z. B. unangenehme Gefühls- und Blasenstörungen.

9. Nebenwirkungen der medikamentösen Behandlung

Die sogenannten Basistherapeutika, wie Interferon ß und Glatirameracetat, sind meist gut verträglich, müssen jedoch mehrfach die Woche oder mehrfach im Monat unter die Haut oder in den Muskel injiziert werden. Bei der Behandlung mit Interferon ß können die Patienten unter grippeartigen Nebenwirkungen leiden, die mit Hilfe von fiebersenkenden Mitteln, wie z. B. Paracetamol oder Ibuprofen, behandelt werden. Weiterhin ist eine Kontrolle des Blutbildes und der Leberwerte notwendig. Bei Glatirameracetat, das täglich unter die Haut injiziert werden muss, können Hautreizungen auftreten. Grippeartige Nebenwirkungen treten hierbei nicht auf und eine Kontrolle von Leberwerten und Blutbild ist nicht notwendig.
Natalizumab wird einmal im Monat als Infusion verabreicht. Hier ist insbesondere auf allergische Nebenwirkungen und auf das Auftreten einer seltenen Viruserkrankung des Gehirns, der sogenannten progressiven multifokalen Leukencephalopathie (PML) zu achten.
Mitoxantron ist ein Zytostatikum, das auch zur Behandlung von Leukämie und Brustkrebs eingesetzt wird. Bei dieser Anwendung sind verschiedene Untersuchungen, wie z. B. EKG und Ultraschalluntersuchung des Herzens sowie regelmäßige Blutbild- und Leberwertkontrollen, notwendig. Insgesamt ist jedoch zu betonen, dass bei richtiger Anwendung und Durchführung entsprechender Kontrolluntersuchungen die Verträglichkeit der Medikamente meist sehr gut ist.

10. Neutralisierende Antikörper (NAK) gegen Interferon-ß und Natalizumab: Einfluss auf die Therapie?

Antikörper sind körpereigene Eiweiße (Proteine), die von speziellen Immunzellen, den B-Lymphozyten, gebildet werden. Sie sind ein wichtiger Teil der erworbenen Immunabwehr. Ihre Aufgabe ist es, körperfremde Stoffe, auch Antigene genannt, zu erkennen, zu markieren und unschädlich zu machen. Antigene können z. B. Viren, Bakterien, Medikamente (so z. B. Interferon-ß und Natalizumab), fremde Organe, Silikone, Latex, Pollen u. v. m. sein. Antigene besitzen Oberflächenstrukturen, die vom Immunsystem, z. B. von den Antikörpern, als körperfremd identifiziert werden. Dabei führt in der Regel jedes Antigen zur Bildung spezieller Antikörper, die im Sinne des Schlüssel-Schloss-Prinzips spezifisch nur an dieses Antigen binden.
So konnten auch bei MS-Patienten, die mit Interferon-beta 1a, Interferon-beta 1b oder Natalizumab behandelt wurden, Antikörper nachgewiesen werden, die spezifisch an diese Substanzen bzw. Medikamente „andocken“. Ein Teil dieser Antikörper bindet an Oberflächenstrukturen auf den Interferon-beta bzw. Natalizumab Molekülen, die für die therapeutische Wirkung dieser Substanzen nicht notwendig sind. Diese Antikörper bezeichnet man als „bindende Antikörper“. Sie sind häufig und meist früh nach Therapiebeginn im Blut nachweisbar und gehen den bisherigen Daten zufolge nicht mit einer Verminderung der Wirksamkeit des Medikamentes einher. Anders verhält es sich mit einer anderen Gruppe von Antikörpern, den Neutralisierenden Antikörpern (Abkürzung: NAK). Die NAK binden an Oberflächenstrukturen, die essentiell für die Wirkung der jeweiligen Substanz sind, in unserem Fall die Beta-Interferone und Natalizumab. Sie unterbinden somit die erwünschten Wirkmechanismen des verabreichten Medikamentes auf den Organismus, sprich sie neutralisieren die Wirkung des Medikaments.
Der Nachweis von NAK im Blut von mit Interferon-beta (IFN-β) behandelten Patienten gelingt nach bisherigen Daten meist in einem Zeitraum von 6 bis 24 Monaten, danach besteht ein niedriges Risiko, NAK auszubilden. Bei allen drei IFN-β Präparaten konnten neutralisierende Antikörper nachgewiesen werden.
Zusätzlich unterteilt man die NAK in transiente (vorübergehende) und bleibende (persistierende) NAK. Es zeigte sich, dass hochtitrig-persistierende NAK gegen IFN-beta Präparate eher mit einem Wirkungsverlust der beta-IFN assoziiert sind. So kam es bei Patienten mit persistierenden NAK zu einer Zunahme der Schubfrequenz, einer Vermehrung und Vergrößerung der Läsionen im Zentralnervensystem und zu einem Fortschreiten der Behinderung.
Allerdings schwanken die NAK-Konzentrationen im Verlauf der Therapie stark. Eine erste hohe Konzentration von NAK kann bei der zweiten Testung nach drei Monaten rückläufig bzw. nicht mehr nachweisbar sein. Weiterhin können NAK auch bei Personen nachgewiesen werden, die bislang noch nie mit IFN-beta behandelt wurden. Gleichwohl können Patienten mit hochtitrigen NAK einen ganz normalen Therapieverlauf aufweisen.
Diese Tatsachen zeigen, dass aktuell weder die Bedeutung noch die Auswirkungen der NAK gegen IFN-ß befriedigend geklärt sind. Von der Multiple Sklerose Therapie Konsensus Gruppe (MSTKG) und einer Vereinigung der amerikanischen Neurologen (AAN) wird die Testung auf NAK gegen IFN-ß nur empfohlen, wenn es zu einer eindeutig klinischen/radiologischen Verschlechterung bzw. einem Therapieversagen unter der Therapie mit IFN-ß kommt. Sollten dann hochtitrige und persistierende NAK in den Verlaufskontrollen (mindestens 2-malige Testung) nachgewiesen werden, ist bei einer Verschlechterung des klinischen Verlaufs eine Umstellung der Therapie auf ein Nicht-IFN-beta Präparat indiziert. Effektive Maßnahmen zur Reduktion der NAK sind bisher nicht ausreichend für den klinischen Gebrauch belegt.
Für Natalizumab ist die Studienlage dagegen eindeutig. So kommt es bei 6 % der mit Natalizumab behandelten Patienten zum Auftreten von persistierenden NAK gegen Natalizumab. Das Auftreten von NAK ist mit einem deutlichen Wirkverlust von Natalizumab assoziiert. Es zeigte sich, dass bei Patienten mit persistierenden NAK deutlich erniedrigte Natalizumab-Konzentrationen im Serum vorlagen. Auch wurde schnell deutlich, dass persistierende NAK gegen Natalizumab mit einem erhöhten Auftreten von infusionsbedingten Nebenwirkungen (einschließlich Überempfindlichkeitsreaktionen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Nesselsucht, Rigor oder Gesichtsrötung) assoziiert sind. Empfohlen wird daher die Testung auf NAK gegen Natalizumab bei klinischem oder radiologischem (im MRT nachweisbaren) Fortschreiten der MS. Auch hier findet die Unterscheidung in transiente- und persistierend-positive NAK statt - mittels einer zweimaligen Testung (zweiter Test nach einem Monat). Sollte auch in der zweiten Testung ein positiver Nachweis von NAK vorliegen, wird aktuell ein sofortiger Abbruch der Therapie empfohlen.

11. MS und Schwangerschaft

Die Schwangerschaft selbst wird durch die MS nicht beeinflusst. Auch die Geburt und die Missbildungsrate ist im Vergleich zur Normalbevölkerung unverändert. Lediglich das Geburtsgewicht des Kindes ist bei MS-Patientinnen etwas geringer.
Für die MS-Patientin besteht während der Schwangerschaft vor allem im 3. Trimenon eine reduzierte Schubwahrscheinlichkeit, die nach der Entbindung jedoch wieder ansteigt. Wenn man die gesamte Dauer der Schwangerschaft berücksichtigt, heben sich diese gegenläufigen Effekte statistisch auf. Auch Studien zum Langzeitverlauf haben keinen negativen Einfluss der Schwangerschaft auf den MS-Verlauf zeigen können.
Die Fortführung oder Beendigung der MS-Therapie während der Schwangerschaft und Stillzeit ist im Einzelfall abzuwägen. Bei den am häufigsten angewandten Interferonen sollte bei Kinderwunsch oder eingetretener Schwangerschaft in Abhängigkeit von der Krankheitsaktivität entschieden werden, ob und wie lange die Therapie fortgeführt wird.
Glatirameracetat und Natalizumab dürfen während der Schwangerschaft nicht angewendet werden. Bei der Behandlung mit Azathioprin und Mitoxantron ist ein Absetzen drei bzw. sechs Monate vor Eintritt der Schwangerschaft nötig. Die Therapie mit Immunglobulinen wird in der Schwangerschaft als unbedenklich angesehen. Bei einem schweren Schub während der Schwangerschaft ist nach Rücksprache ggf. eine Kortisonstoßtherapie möglich.
Grundsätzlich gilt vor allem bei häufigen Schüben vor der Schwangerschaft: Nach der Geburt möglichst bald Wiederaufnahme der Therapie.
Unter der Therapie mit Interferon ß, Azathioprin und Mitoxantron darf nicht gestillt werden. Bei Glatirameracetat ist das jeweilige Risiko sowohl für die Mutter als auch für das Kind gegen den Nutzen der Behandlung abzuwägen. Stillen unter der Behandlung mit Immunglobulinen wird als unbedenklich angesehen. Letztlich sind alle Therapieentscheidungen im Einzelfall am besten in Zusammenarbeit zwischen Patientin, behandelndem Gynäkologen und Neurologen zu treffen.

12. Neuromyelitits optica (NMO, Devic-Syndrom): Variante der MS oder eigenständiges Krankheitsbild?

Die Neuromyelitis optica (NMO) - auch Devic-Syndrom genannt - wurde lange Zeit als eine Variante der Multiplen Sklerose angesehen. Inzwischen herrscht aufgrund neuester Forschungsergebnisse weitgehend Einigkeit darüber, dass es sich bei der Neuromyelitis nicht um eine Multiple Sklerose, sondern um ein eigenständiges Krankheitsbild handelt.
Vor über 100 Jahren beschrieb der französische Neurologe Eugène Devic den Fall einer jungen Patientin, welche unter anderem eine Erblindung auf beiden Augen sowie eine Querschnittslähmung entwickelte. Ursache war eine schwere Entzündung beider Sehnerven sowie des Rückenmarkes. Die Entzündung von Sehnerv (lateinisch „Nervus opticus“) und Rückenmark (griechisch „Myelon“) hat der Erkrankung den Namen „Neuromyelitis optica“ (NMO) gegeben. Später nannte man die Erkrankung zu Ehren des Erstbeschreibers auch Devic-Syndrom.
Zwar sind auch bei der MS häufig Rückenmark und Sehnerv befallen, jedoch sind für die MS vor allem Entzündungsherde im Gehirn typisch. Bei der NMO ist das Gehirn hingegen so gut wie gar nicht betroffen, dafür sind die Entzündungsherde im Rückenmark wesentlich größer als bei der MS. Aus Gründen, die wir noch nicht kennen, bricht die NMO im Schnitt etwa 10 Jahre später aus als die MS. Wie bei der MS, sind auch bei der NMO Frauen häufiger betroffen als Männer. Interessanterweise ist die MS in unseren Breiten sehr häufig, während die NMO nur selten auftritt. In einigen asiatischen Ländern ist es genau umgekehrt.
Für beide Erkrankungen konnten ähnliche, aber nicht identische Erbfaktoren ermittelt werden, die mit einem erhöhten Risiko verbunden sind, an MS bzw. NMO zu erkranken. Aber weder MS noch NMO sind Erbkrankheiten im klassischen Sinne. Vielmehr ist das Zusammenspiel von vielen Erbanlagen mit noch nicht näher definierten Umweltfaktoren entscheidend für die Krankheitsentstehung.
Richtungsweisend für die Erkenntnis, dass es sich bei der NMO nicht um eine Variante der MS, sondern um ein eigenständiges Krankheitsbild handelt, war die Entdeckung eines Antikörpers im Blut von Patienten mit NMO, den man weder bei MS-Patienten noch bei gesunden Probanden nachweisen kann. Damit steht nun erstmals ein Bluttest zur Verfügung, der dabei hilft, zwischen NMO und MS zu unterscheiden. Der Antikörper ist gegen Bestandteile des eigenen Körper gerichtet, somit ist die NMO ebenso wie die MS eine Autoimmunerkrankung.
Während das eigene Immunsystem bei der MS aber die Markscheiden der Nervenzellfortsätze angreift, richtet sich der Antikörper bei der NMO gegen einen sogenannten Wasserkanal, der auch als Aquaporin 4 bezeichnet wird. Dieser Wasserkanal findet sich auf der Zelloberfläche der Astrozyten im zentralen Nervensystem und ist wichtig für den Transport von Wasser, welches im Rahmen des Energiestoffwechsels der Nervenzellen entsteht. Interessanterweise kommt der Wasserkanal besonders häufig in Abschnitten des zentralen Nervensystems vor, die auch bei der NMO klassischerweise befallen sind: in den Sehnerven und im Rückenmark.
Da Antikörper von den sogenannten B-Zellen gebildet werden, ist es naheliegend, bei der NMO eine Therapie einzusetzen, die an den B-Zellen angreift, in der Vorstellung, auf diese Weise die Bildung dieses schädlichen Antikörpers zu unterdrücken. Mit Rituximab, einem Medikament, das die B-Zellen aus dem Blut entfernt, konnten bei einigen Patienten mit NMO schon sehr viel versprechende Therapieerfolge erzielt werden.
Interferone hingegen sind bei der NMO wahrscheinlich weniger wirksam als bei der MS. Dies überrascht nicht, da es inzwischen Hinweise gibt, dass Interferone die B-Zell Aktivität verstärken. Ein Schubereignis selbst wird bei der NMO und bei der MS hingegen in vergleichbarer Weise behandelt: in aller Regel mit Kortisoninfusionen oder, wenn diese keine ausreichende Wirkung zeigen, mit Plasmapherese (Blutwäsche).
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