Autismus

1. Was ist Autismus?

Autismus ist eine sogenannte tiefgreifende Entwicklungsstörung, die in den ersten drei Lebensjahren beginnt und die durch Beeinträchtigungen der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie stereotype, repetitive Verhaltensweisen gekennzeichnet ist. Das Spektrum reicht von schwerwiegenden Beeinträchtigungen, teilweise gepaart mit Intelligenzminderung (frühkindlicher Autismus), bis hin zu weniger schwerwiegenden, aber dennoch klinisch bedeutsamen und Leiden verursachenden Beeinträchtigungen bei durchschnittlich bis überdurchschnittlich intelligenten Menschen (hochfunktionaler Autismus). Definitionsgemäß beginnt Autismus im Kindesalter und bleibt auch im Erwachsenenalter bestehen. Das Wort „Autismus“ leitet sich von dem griechischen Wort „autos“ ab, was soviel wie „selbst“, „für sich“ oder „allein“ bedeutet.

2. Welche Beschwerden kennzeichnen Autismus-Spektrum-Störungen?

Das Konzept eines sogenannten Autismus-Spektrums bezeichnet einen Erklärungsansatz, der davon ausgeht, dass es einen fließenden Übergang von Nicht-Autismus zu Autismus gibt. Ungeachtet hiervon ist jedoch für die Diagnosestellung (s.unten) eine kategoriale Einschätzung relevant. Demnach wäre Autismus als eine Eigenschaft anzusehen, die jeder Mensch in mehr oder weniger starkem Maße aufweist. Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen haben Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion mit anderen Menschen, da bei ihnen das intuitive Verständnis dafür gestört ist, dass andere Menschen andere Gedanken oder Gefühle haben können als sie selbst.
Bei Menschen mit sogenanntem hochfunktionalen Autismus, bei denen andere kognitive Leistungen intakt sind, kommt es deshalb dazu, dass die psychische Verfassung anderer erst mühsam „errechnet“ werden muss, was einer aktiven Teilnahme an sozialer Interaktion in Echtzeit häufig zuwiderläuft. Auch wird angenommen, dass derartige Schwierigkeiten in der Interaktion zu einer Veränderung der Motivation und Interesse hierfür führen können.
Störungen der sozialen Interaktion stehen in engem Zusammenhang mit Störungen der Kommunikation, womit Einschränkungen sowohl im Bereich des verbalen als auch nonverbalen Austausches gemeint sind. Sprachlich kann das fehlende Verständnis von Ironie und impliziten Bedeutungen auffallen. Nonverbal besteht eine wichtige Schwierigkeit darin, die Gestik und Mimik anderer zu erfassen und zu verstehen.
Als drittes Symptom der Autismus-Spektrum-Störungen bestehen stereotype, repetitive Verhaltensweisen. Hierunter fallen Spezialinteressen oder das Wiederholen von bestimmten Handlungen, Verhaltensweisen oder Interessen, welche - für Ausstehende häufig nicht nachvollziehbar - als besonders angenehm und stabilisierend empfunden werden.

3. Wie häufig sind Autismus-Spektrum-Störungen?

Nach neueren Ergebnissen geht man von einem Verhältnis von ca. 2-3:1 zugunsten des männlichen Geschlechts aus, wahrscheinlich unabhängig von der kognitiven Leistungsfähigkeit (Interdisziplinäre S3-Leitlinie für Autismus-Spektrum-Störungen 2016; Irding et al. 2012; Mattila et al. 2010; Baird et al. 2006).

4. Welche Ursachen haben Autismus-Spektrum-Störungen?

Es wird angenommen, dass es sich bei Autismus-Spektrum-Störungen um neurobiologisch begründbare Erkrankungen handelt. Hierfür sprechen der Erkrankungsverlauf und Hinweise aus verschiedenen Bildgebungsstudien. Soziale und psychologische Faktoren sind nicht an der Entstehung und Aufrechterhaltung von Autismus-Spektrum-Störungen beteiligt, sehr wahrscheinlich aber an der psychosozialen Entwicklung und individuellen Ausprägung der Symptome. Da Autismus-Spektrum-Störungen familiär gehäuft auftreten, sind weiterhin genetische Faktoren anzunehmen.

5. Wie kann man Autismus-Spektrum-Störungen im Erwachsenenalter diagnostizieren und behandeln?

Wurde die Diagnose Autismus anhand der oben genannten drei Kernkriterien im Kindes- oder Jugendalter gestellt, bereitet die Erkennung der weiterhin bestehenden Symptome meist keine Schwierigkeiten. Präsentiert sich ein Patient jedoch primär im Erwachsenenalter - was nicht selten im Zusammenhang mit psychosozialen Problemen am Arbeitsplatz oder in Beziehungen steht - so wird die Diagnose häufig erst spät oder überhaupt nicht gestellt.
Für die Diagnose ist entscheidend, dass Auffälligkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie Stereotypien seit der Kindheit vorhanden sind und durchgehend bis ins Erwachsenenalter bestehen. Hierbei bedarf eine Diagnose oftmals der Fremdanamnese. Charakteristischer Kern des sogenannten hochfunktionalen Autismus ist das weitgehende Fehlen sozial kognitiver Fähigkeiten und Fertigkeiten bei ansonsten erhaltener kognitiver Leistungsfähigkeit. Standardisierte Diagnoseverfahren sind für das Kindesalter validiert, können aber im Erwachsenenalter in modifizierter Form verwendet werden.
Eine Therapie, die die Kernsymptome von Autismus-Spektrum-Störungen beseitigen kann, ist nicht bekannt. Beeinflussbar sind aber der Umgang mit den Symptomen - wofür die Diagnosestellung und weiterführende Psychoedukation maßgeblich sein können - sowie assoziierte Begleitsymptome, da der Verlauf von Autismus-Spektrum-Störungen häufig durch zusätzliche psychische Störungen kompliziert wird. Verhaltenstherapie kann helfen, soziale und kommunikative Fähigkeiten aufzubauen. Medikamente können eingesetzt werden, um Begleitsymptome zu behandeln und zu lindern.
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