Mehrzahl depressiver Patienten zeigt veränderte Stressreaktivität

Wichtiger Befund für zukünftige Antidepressiva-Entwicklung

23. Januar 2012

Auf der Suche nach Biomarkern der Depression konnten molekulare Veränderungen mit hohem Aussagewert im Blut von Patienten identifiziert werden. Nachweisbar wurden die charakteristischen Änderungen an Genaktivitäten jedoch erst in Reaktion auf Stress. Bei über 80 Prozent der untersuchten depressiven Patienten war eine veränderte Reaktivität des Glukokortikoid-Rezeptors messbar. Max-Planck-Wissenschaftler fordern daher, dass zukünftige Medikamente zur Behandlung der Depression bei den beteiligten Molekülen ansetzen sollten.

Forschern um Florian Holsboer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, ist es vor Kurzem gelungen, bei depressiven Patienten spezifische molekulare Veränderungen in Blutzellen zu identifizieren. Dies war umso erstaunlicher, da die Depression durch eine veränderte Kommunikation zwischen Nervenzellen im Gehirn charakterisiert ist. Diese Kommunikation jedoch wird auch durch Stresshormone aus dem Blut, wie beispielsweise Kortisol, beeinflusst. Dieses Hormon bindet den Glukokortikoid-Rezeptor (GR), und steuert so die Aktivität der unterschiedlichsten Gene, um stressbedingte zelluläre Anpassungen zu bewirken.

Frühere Blutuntersuchungen konnten bei rund 30 Prozent der depressiven Patienten eine gestörte Regulation durch das Stresshormon Kortisol nachweisen. Die Empfindlichkeit des Glukokortikoid-Rezeptors, Kortisol zu binden, ist verändert. Deshalb suchten die Max-Planck-Forscher nach einer einfachen und sensitiveren Methode zum Nachweis der GR-Funktionalität. Im Rahmen einer Studie wurde bei den Teilnehmern medikamentös das GR-Stresssystem aktiviert. Die resultierenden Genaktivitäten in Blutzellen von depressiven Patienten wurden mit denen von gesunden Kontrollpersonen verglichen. 24 der 29 depressiven Patienten zeigten dabei ein charakteristisches Aktivitätsprofil ihrer Gene. Damit konnte erstmalig nachgewiesen werden, dass bei über 80 Prozent der depressiven Patienten eine veränderte GR-Funktionalität vorliegt. „Zu unserem Erstaunen zeigen die meisten Patienten mit Depression eine veränderte molekulare Reaktion auf die Aktivierung ihres Glukokortikoid-Rezeptors. Das bestätigt unsere langjährige Annahme, dass es sich bei der Depression in erster Linie um eine Stresserkrankung handelt. Eine medikamentöse Behandlung sollte daher auch ursächlich, zum Beispiel am Glukokortikoid-Rezeptor selbst, ansetzen“, sagt Elisabeth Binder, Arbeitsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut.

Die Max-Planck-Forscher hoffen, dass die aktuellen Ergebnisse künftig zur Entwicklung neuer Antidepressiva führen, die eine Beeinflussung der Stressreaktivität in den Fokus nehmen.

BM

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